Zeugnisanalyse

Petra Oerke sitzt an ihrem Schreibtisch und formuliert ein Arbeitszeugnis

Was steht zwischen den Zeilen? Das Arbeitszeugnis verstehen

Im Folgenden geht es um den Zeugniscode, um Zeugnistechniken sowie um den Aufbau von qualifizierten Arbeitszeugnissen, damit Sie nicht nur die sogenannte allgemeine Zufriedenheitsaussage richtig deuten, sondern auch sonst zwischen den Zeilen lesen können.

Ein Arbeitszeugnis markiert das Ende eines Arbeitsverhältnisses oder – im Falle des Zwischenzeugnisses – einer Tätigkeit in einer Position. Auch Vorgesetztenwechsel oder andere Veränderungen, zum Beispiel Fusionen, können Grund für das Ausstellen eines (Zwischen‑)Zeugnisses sein. Es ist wichtig, das eigene Arbeitszeugnis vollständig zu verstehen, Sprache und Codes richtig zu deuten; darum bemüht sich der folgende Beitrag.

Denn Entwicklungen, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, zur Versetzung oder anderen Veränderungen führen, verlaufen nicht immer konfliktfrei, und gelegentlich schlagen sich diese Konflikte im Arbeitszeugnis nieder und sind für geübte Augen zu erkennen. Da das Arbeitszeugnis als Referenz gegenüber zukünftigen Arbeitgebern dient und jedem Vorgesetzten in der Personalakte einsehbar ist, sollte ein Arbeitnehmer es vollständig verstehen (und idealerweise damit einverstanden sein), bevor er es akzeptiert.

Der Zeugniscode

Deutsche Arbeitgeber sind bei der Ausstellung von Zeugnissen verpflichtet zu Klarheit, Wahrheit, Wohlwollen und Vollständigkeit und individueller Beurteilung (Zeugnisgrundsätze). Im Übrigen besteht Formulierungshoheit, das heißt, Aufbau und Wortwahl können frei gewählt werden. Allerdings haben sich Standards – der sogenannte Zeugniscode – durchgesetzt, die sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern das Schreiben, Lesen und Verstehen von Zeugnissen erleichtern. Codes bzw. standardisierte Formulierungen werden sowohl für die allgemeine Zufriedenheitsaussage als auch für die Bewertung des persönlichen Verhaltens sowie einzelner Leistungsaspekte und ‑merkmale verwendet. Dies trifft insbesondere bei Unternehmen zu, die standardisierte Beurteilungsbögen oder einen Zeugnisgenerator nutzen.

Die allgemeine Zufriedenheitsaussage in Bezug auf die Arbeitsleistung lässt sich meist noch recht gut deuten. Hier gelten folgende Formulierungen:
stets zu unserer vollsten Zufriedenheit = sehr gut (1)
stets zu unserer vollen Zufriedenheit (oder auch: zu unserer vollsten Zufriedenheit) = gut (2)
zu unserer vollen Zufriedenheit (oder auch: stets zur Zufriedenheit) = befriedigend (3)
zu unserer Zufriedenheit = unterdurchschnittlich (4)

Allerdings bevorzugen manche Arbeitgeber andere Standardformulierungen wie:
hat unseren Erwartungen in jeder Hinsicht und in allerbester Weise entsprochen oder
die Leistungen haben unsere besondere Anerkennung gefunden oder
mit den Arbeitsergebnissen waren wir stets und in jeder Hinsicht vollauf zufrieden = sehr gut (1)
mit den Arbeitsergebnissen waren wir stets zufrieden = gut (2)
hat unseren Erwartungen voll entsprochen = befriedigend (3)
hat unseren Erwartungen entsprochen = ausreichend (4)
hat im Großen und Ganzen unsere Erwartungen erfüllt = mangelhaft (5)

Die Positivskala zur Bewertung des persönlichen Verhaltens lautet:
stets vorbildlich = sehr gut (1)
vorbildlich oder stets einwandfrei = gut (2)
einwandfrei = befriedigend (3)
ohne Tadel = unterdurchschnittlich (4)

Zeugnistechniken

Neben dem Zeugniscode hat sich eine Reihe von Zeugnistechniken etabliert, mit denen ein Arbeitgeber die Leistung und das Verhalten von Mitarbeitern differenziert beurteilen kann, ohne dass dies auf den ersten Blick ersichtlich ist. Häufig genutzt werden die Andeutungs-, Reihenfolge-, Auslassungs- und Widerspruchstechnik.
Wenn es in einem Zeugnis lediglich heißt, „das Aufgabengebiet erfordert in hohem Maße exaktes und selbstständiges Arbeiten“, wurde vermutlich genau diese Arbeitsweise beim Arbeitnehmer vermisst (Andeutungstechnik).
Die Formulierung „aufgrund ihrer ausgezeichneten Umgangsformen fand sie bei Kunden, Kollegen und Vorgesetzten stets gleichermaßen Anerkennung“ lässt auf Ärger mit den Vorgesetzten schließen, da die Kollegen vor den Vorgesetzten genannt werden (Reihenfolgetechnik).
Eine ebenfalls negative Deutung wird durch beredtes Schweigen erreicht, wenn etwa zu erwartende Angaben fehlen, wie beispielsweise zur Kundenbetreuung oder zum Vertriebserfolg bei einem Kundenberater (Auslassungstechnik).
Auch wenn die Beurteilung von wichtigen Leistungsaspekten – zum Beispiel von Führungsfähigkeit einer Teamleiterin – nicht mit der allgemeinen Zufriedenheitsaussage harmoniert, wird meist ein Mangel ausgedrückt (Widerspruchstechnik).

Es kommt also nicht nur auf die allgemeine Zufriedenheitsaussage oder die Bewertung des Verhaltens an, sondern ausschlaggebend ist die Stimmigkeit des Zeugnisses in sich. Die Beurteilung von Leistung und Führung sollte mit der Zufriedenheitsaussage sowie allen anderen Elementen des Zeugnisses in Einklang stehen.

Bei der Anfechtung von Formulierungen kann Satz 2 § 109 GewO einen ersten Anhaltspunkt geben: „Das Zeugnis muss klar und verständlich formuliert sein. Es darf keine […] Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als […] aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage […] zu treffen.“ Sollte der Arbeitgeber allerdings der Auffassung sein, dass diese Deutungen den Tatsachen entsprechen, kann er sich bei einem Streitfall darauf berufen, seiner Wahrheits- und Wohlwollenspflicht nachgekommen zu sein, insofern er eine nicht so gute Leistung in einer positiven Formulierung ausgedrückt hat.

Eine Änderung kann am besten durchgesetzt werden, wenn glaubhaft gemacht werden kann, dass es sich tatsächlich anders verhalten hat. Hier hilft das Vorlegen schriftlicher Gegenbelege wie Zwischenzeugnissen, Protokollen aus Mitarbeitergesprächen oder dokumentierten Auszeichnungen für besondere Leistungen sowie das Hinzuziehen anderer oder früherer Vorgesetzter. Auch auf Vollständigkeit hinsichtlich Aufbau und Inhalt kann der Arbeitnehmer bestehen.

Aufbau und Inhalt von Arbeitszeugnissen

Die Reihenfolge der Bestandteile kann manchmal variieren, doch grundsätzlich sind folgende Inhalte in einem qualifizierten Arbeitszeugnis zu erwarten:
Überschrift
Einleitung mit persönlichen Daten des Arbeitnehmers, Positionsbezeichnung und Beschäftigungszeitraum
Firmenbeschreibung
Aufgabendarstellung
Beurteilung der Leistung (Einzelaspekte siehe unten)
Bewertung des Verhalten im Arbeitsverhältnis (siehe unten)
Schlussformulierungen mit Austrittstermin, auf Wunsch Art der Kündigung oder Grund des Ausscheidens sowie Dank- und Bedauernsformel
Ort, Datum, Unterschrift(en)

Die Beurteilung der Leistung untergliedert sich in die Leistungsaspekte Fachwissen und Fachkönnen nach den Kriterien Arbeitsgüte, Arbeitsmenge und Arbeitsbereitschaft; EDV-Kenntnisse und Sprachkenntnisse; Fort- bzw. Weiterbildung; Führungs- und Managementleistung sowie die Leistungsmerkmale selbstständiges Arbeiten, Einsatz- und Leistungsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Sorgfalt, Verantwortungsbewusstsein, Vertrauenswürdigkeit, Belastbarkeit, Team- und Kooperationsfähigkeit, Stärken und Erfolge.

Die Bewertung des Verhaltens im Arbeitsverhältnis (früher Führung) betrachtet das Sozialverhalten gegenüber Internen wie Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern und gegenüber Externen wie Kunden, Geschäfts- und anderen Ansprechpartnern sowie evtl. sonstiges Verhalten.

Zeugnisanspruch – eine „Holschuld“

Jeder Arbeitnehmer hat am Ende eines Arbeitsverhältnisses nach § 109 GewO Anspruch auf ein Arbeitszeugnis. Der Arbeitgeber muss das Zeugnis allerdings nicht von sich aus ausstellen; er ist dazu nur verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer dies verlangt. Dann sollte die Zeugniserstellung innerhalb einer angemessenen Frist erfolgen, sodass der Arbeitnehmer es abholen (Holschuld) kann.

Der Zeugnisanspruch kann erlöschen, wenn im Arbeitsvertrag eine Verfallsklausel (häufig ein Monat nach Vertragsende) enthalten ist. Ansonsten erkennt der Gesetzgeber den Anspruch meist noch sechs Monate bis drei Jahre an.

Ein rechtlicher Anspruch auf ein Zwischenzeugnis besteht nur aus triftigem Grund: etwa bei Versetzung, Beförderung, Vorgesetztenwechsel, Fortbildung, Freistellung oder Betriebsübergang.

Bitten Sie Ihren Arbeitgeber daher am besten sofort bei Bekanntwerden des bevorstehenden Vertragsendes oder einer erheblichen Veränderung schriftlich um ein qualifiziertes Arbeitszeugnis oder Zwischenzeugnis.

Zeugnisse selbst schreiben

Sowohl von Arbeitgeber- als auch von Arbeitnehmerseite kommt manchmal der Vorschlag, das Zeugnis selbst zu schreiben. Gerade in kleineren Unternehmen oder in einer Umbruchsituation stehen im Unternehmen nicht immer die nötigen Kompetenzen und Kapazitäten für die Formulierung von Arbeitszeugnissen zur Verfügung.

Für beide Seiten hat das Vorteile: Im Unternehmen wird keine Arbeitszeit gebunden, die anderweitig produktiver eingesetzt werden kann. Der Arbeitnehmer kann sicherstellen, ein vollständiges, authentisches und gutes Arbeitszeugnis zu erhalten. Wichtig für die Akzeptanz des Zeugnisses ist allerdings, nicht der Versuchung zu erliegen, zu viele Details aufzuführen oder „stets und jederzeit“ nur Spitzenleistungen „in allerbester Weise“ auszuweisen. Dann wird es entweder in dieser Form nicht unterschrieben oder der potenzielle zukünftige Arbeitgeber erkennt es als Gefälligkeitszeugnis und stuft es damit als unglaubwürdig ein.

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